· 

Umweltpolitisches Dilemma: Zu viele Arzneien belasten das Klima

 

Hätten Sie`s gewusst? Der Gesundheitssektor ist für 5 Prozent aller Treibhausemmissionen verantwortlich. Vielleicht. Ganz sicher haben sie aber nicht gewusst, dass 60 Prozent dieses Ausstoßes auf Medikationen und Verschreibung von Arzneien zurückzuführen sind. Dafür tragen klimapolitisch alle Verantwortung: die verordnenden Ärzte wie auch die Patienten, für die Arzneien häufig auch dann alternativlos sind, wenn es Alternativen gibt.

 

 

 

Auf dieses klimapolitische Dilemma hat der Lahrer Pädiater Dr. Christof Wettach beim Kinder- und Jugend-Ärztetag des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) 2023 in Berlin hingewiesen. Der Anteil ist deshalb so hoch, weil die Bereitstellung von Medikamenten von der Produktion über die Lieferketten bis hin zur Verordnung und Einnahme eine Vielzahl ökologischer Fußabrücke hinterlässt. Allein die Asthmasprays machten dabei einen Anteil von 15 Prozent aus. Ganz generell müsse immer neu hinterfragt werden, ob die Verschreibung einer Arznei oder – in Hitzeperioden – die Einnahme aller Präparate wirklich nötig ist oder zum Beispiel nur auf Druck von Patienten oder Eltern oder aus Gewohnheit erfolgt.

 

 

 

Deshalb sah hier Dr. Katharina Thiede von der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) beim Berliner Kongress bei den 5,1 Millionen Gesundheitsberufen eine hohe Verantwortung. Als Multiplikatoren sind gerade Ärztinnen und Ärzte besonders gefordert, weil sie zum Beispiel im Bereich mentale Gesundheit den engen Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und Depressionen, ADHS und Schizophrenien am besten beurteilen und nachvollziehen könnten. Deshalb müsse von Seiten der Gesundheitsberufe der Druck auf die Politik erhöht werden.

 

Denn gerade Ärzte sind nicht ganz machtlos, diesen Trend zu stoppen. Unter Beachtung der 5-R-Regel (refuse, reduce, reuse, recycle and rethink) ist eine „klimasensible Verordnung“ von Medikamenten durchaus möglich. Beispiele gibt es zur Genüge:

 

-      Bei der Asthma-Behandlung könnten fast immer die gängigen Dosieraerosole durch die zumeist klimafreundlicheren Pulver-Inhalatoren ersetzt werden.

 

-      Beim Recycling von Medikamenten und medizinischem Zubehör sei in weiten Bereichen noch viel Luft nach oben. So gehören Altarzneien weder in die Mülltonne noch in die Toilette.

 

-      Auch bei Viruserkrankungen würden nach wie vor auf Druck von Patienten weiter munter unnötigerweise Antibiotika verordnet, obwohl diese nachweislich nicht gegen Viren wirken.

 

Ändern wird sich diese Misere indes nur dann, wenn Patienten und Ärzte an einem Strang ziehen. „Rethink“ - das Verhalten zu überdenken und zu verändern - hat hierbei zunächst oberste Priorität. Denn zu Arzneien gibt es tatsächlich häufig Alternativen. Das sollte endlich ins Bewusstsein rücken. Und zwar rasch. Katharina Thiede brachte es auf dem Kinder- und Jugend-Ärztetag 2023 auf den Punkt: „Wir haben extrem wenig Zeit.“

 

                                                                       Raimund Schmid