Die Bedürfnisse von Jugendlichen werden im Zuge der Corona-Pandemie bisher in keiner Weise ausreichend berücksichtigt. Ganz im Gegenteil: In der Corona-Pandemie spitzen sich alle Bruchstellen zu, die für die gesunde Persönlichkeitsentwicklung von Jugendlichen prägend sind.
Diese bittere Wahrheit spricht kein geringer als Dr. Dr. h.c. Klaus Hurrelmann, Professor of Public Health and Education an der Hertie School (University of governance in Berlin) aus. Als emeritierter Professor der Universität Bielefeld ist er insbesondere als Jugendforscher bundesweit bekannt geworden und gilt hier als einer der renommiertesten Experten im Land. Als Mit-Initiator zum Beispiel der Shell-Studie hat er sich stets für die Belange von jungen Menschen eingesetzt, die seiner Ansicht nach immer wieder zu kurz kommen.
Das trifft auch jetzt in der Coronakrise zu. Mit gewohnt klaren Worten stellt er klar, dass alle Entwicklungsherausforderungen, die im Lebensabschnitt um die Pubertät herum relevant sind, von den lange Zeit gültigen Einschränkungen durch das Coronavirus massiv betroffen sind. Da müssen Bildungs- und Qualifikationsprozesse abgeschlossen werden, da ist die Ablösung von den Eltern im vollen Gang und da findet gerade der Aufbau intensiver und auch intimer Beziehungen statt. Zudem spielen in dieser Zeit Konsum, Freizeit, und Medien eine immer bedeutendere Rolle, die auch Einfluss auf die Heranreifung eines politischen Bürgers mit eigener Wertorientierung hat.
Aus sozialpsychologischer, soziologischer und pädagogischer Sicht sind alle diese Bereiche bei einem durchschnittlichen Jugendlichen in solchen Krisenzeiten betroffen, stellt Hurrelmann klar. Wenn das so ist, sind die Jugendlichen tatsächlich eine Bevölkerungsgruppe, die sehr unter den vielfältigen mit der Corona-Pandemie verbundenen Einschränkungen leidet.
Davon scheint allerdings bislang bei den verantwortlichen Politikern und der Bundesregierung nicht viel angekommen zu sein. Doch was hat das für Folgen? Auch hier zeigt Hurrelmann klare Kante. Es sei zu befürchten, dass gerade diejenigen junge Leute, die sowieso schon psychische, körperliche, psychosozial oder psychosomatische Probleme hatten und durch Vorerkrankungen belastet waren, nun noch mehr Probleme bekommen, ein geregeltes Leben zu führen. Durch Corona werden weitere zusätzliche Belastungen – etwa Kontaktstörungen und Kontaktängste - hinzukommen. Die lange Zeit gültigen Ausgangsbeschränkungen könnten auch zu Bewegungsarmut und einer schlechteren Ernährung führen. Im Klartext heißt dies: Wer zuvor schon übergewichtig war, ist jetzt erst recht in großer Gefahr, noch adipöser zu werden. Und man müsse befürchten, dass Ungleichheiten sich noch weiter ausgeprägt haben. So werden wohl Bildungsungleichheiten – und damit zugleich auch gesundheitliche Ungleichheiten - noch stärker zunehmen.
Doch Hurrelmann wäre nicht ein renommierter Jugendforscher, wenn er auch nicht die Chancen sehen würde, die aus einer solchen Krise resultieren könnten. Die große Mehrheit der Aktivistinnen und Aktivisten in der Bewegung „Fridays for future“ – da kann man fast 30 Prozent des Jahrgangs dazu rechnen – werden sich eher darin bestärkt sehen, dass deren Lebensgrundlagen gefährdet sind. Deren Devise lautete ja schon immer: Wir müssen bewusster leben, wir müssen uns einschränken und unsere Mobilitätsverhältnisse überdenken. Junge Menschen, die sich auf diese Weise für das Gemeinwesen einsetzen, werden durch die Krise überhaupt nicht belastet sein, sondern sich vielmehr bestätigt fühlen.
Aus der Coronakrise müssten nun die Lehren gezogen werden, fordert der Berliner Jugendforscher völlig zu Recht. Zum Beispiel in der Schule. Was spricht eigentlich dagegen, wenn in der Schule künftig auch soziale Kontakte mit trainiert werden und Bildungseinrichtungen zu einem sozialen Aufenthaltsraum für junge Leute umgewandelt werden. Warum sollte Schule nicht zu einer Einrichtung werden, in der man auch lernt, ein Wirtschaftsbürger zu werden und mit Geld umzugehen und auch ansonsten lernt, selbstständiger zu denken und zu handeln.
Bis dahin wird es noch ein weiter Weg sein. Ein guter Weg könnte es sein, eine solche vehemente Krise auch als Chance zu nutzen. Klaus Hurrelmann sei daher gedankt, dass er hier nun solche klaren politischen Akzente gesetzt und wissenschaftlich unterfütterte Ansprüche artikuliert hat.
Die meisten Jugendlichen und jungen Menschen werden sich hierbei sicher wiederfinden. Die Politik wird sich sicher erst finden müssen, um sich diesen Herausforderungen stellen zu können. Dazu müssen die Regierenden im Bund und in den Ländern die Jugend im Kontext der Coronakrise aber erst einmal wahrnehmen. Durch das Vorpreschen eines solchen breit anerkannten Jugendforschers wie Klaus Hurrelmann wird sie daran jetzt aber wohl – hoffentlich -nicht mehr vorbeikommen.